Sinergia - Teilprojekte

Dieses vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte interdisziplinäre Forschungsprojekt untersucht aus der Perspektive der Sozialdemografie, der Psychologie, der Architektur- und Wohnforschung sowie der Rechtswissenschaften den Zusammenhang zwischen verschieden Familienformen nach Trennung und Scheidung und dem Wohlbefinden von Kindern:

ZUSAMMENFASSUNG:

 

Familiale Lebenswelten in der Schweiz sind im Wandel begriffen. Kennzeichnend ist unter anderem der bemerkenswerte Anstieg von Trennungen und Wiederverpartnerungen, insbesondere bei Familien mit minderjährigen Kindern. Die veränderten Sorgerechtsregelungen erfordern nicht nur ein hohes Mass an Anpassungsfähigkeit, sondern auch die Fähigkeit von Eltern und Kindern mit besonderen Herausforderungen umzugehen. Bestehende internationale Forschungen konnten zeigen, dass das Wohlergehen von Kindern in den verschiedenen Familienformen unterschiedlich ausgeprägt ist. Für ein umfassendes Verständnis, wie sich das Kindeswohl und die Sorgerechtsregelungen im Laufe der Zeit verändern, greifen diese Studien jedoch häufig zu kurz. Es gibt kaum Erkenntnisse darüber, wie familiäre Beziehungen, unterschiedliche sozioökonomische Bedingungen und Wohnverhältnisse zusammenwirken und das Wohlergehen von Kindern beeinflussen.

 

Datenerhebung:

 

FamyCH will dazu beitragen, diese Forschungslücke mit einer umfassender Langzeitstudie zu schliessen. Die Forschungen zielen darauf ab, Familien mit Kindern im Alter von 0-14 Jahren zu begleiten und Indikatoren für deren Wohlergehen zu untersuchen, darunter ihre körperliche und geistige Gesundheit, kognitive, emotionale und Beziehungsaspekte. Geplant ist, 1’200 Familien mit unterschiedlichen Sorgerechtsregelungen nach Trennung oder Scheidung in die Erhebungen einzubeziehen. Dabei werden Daten zu den soziodemografischen Merkmalen der Eltern, zur Beziehungsqualität, zu den Lebens- und Mobilitätsmustern der Kinder sowie zu den Mechanismen, die zu bestimmten Sorgerechtsvereinbarungen führen, gesammelt. Beide getrennt lebenden biologische Eltern sind herzlich eingeladen, an dieser Studie teilzunehmen. Als Vergleichsgruppe werden ergänzend dazu 800 nicht getrenntlebende Familien befragt. Die Datenerhebung erfolgt mittels eines Online-Fragebogens zu drei verschiedenen Zeitpunkten innerhalb von zwei Jahren.

Die Ergebnisse dieser umfassenden Untersuchungen werden wertvolle Einblicke in die Entwicklung von Sorgerechtsregelungen sowie sozialen Ungleichheiten und deren Auswirkungen auf das Wohlergehen von Kindern liefern. Diese Erkenntnisse sind weit über den wissenschaftlichen Bereich hinaus von hoher praktischer Relevanz und sollen eine solide Grundlage für die Weiterentwicklung der Schweizer Familienpolitik bilden. Die Vielschichtigkeit von Wohlbefinden in unterschiedlichen Familienmodellen berücksichtigend, werden die Studienergebnisse in die Rechtsprechung Eingang finden, damit den unterschiedlichen Bedürfnisse der Familien Rechnung getragen sowie Kinder und Eltern auf ihrem Weg nach der Trennung gestärkt.  Nicht zuletzt sollen die Forschungen helfen, mögliche Risken für Kinder zu erkennen und ein förderlicheres Umfeld für deren Aufwachsen zu schaffen. Damit unterstreichen wir unser Engagement für das Wohlergehen von Kindern und Familien in der Schweiz.

Zusammenfassung:

 

Familiäre Beziehungen sind grundlegend mit dem Wohlergehen von Kindern verbunden. In Übergängen wie Trennung oder Scheidung verändern sich diese Beziehungen tiefgreifend. In der Schweiz wirft die zunehmende Verbreitung des gemeinsamen Sorgerechts Fragen zu den Auswirkungen unterschiedlicher Sorgerechtsregelungen auf Kinder auf. Die bestehende Forschung bietet widersprüchliche Erkenntnisse, wobei hauptsächlich das Wohlergehen von Kindern in nicht getrennten Familien mit dem von Kindern in geteilten Sorgerechtsarrangements oder mit alleinerziehenden Müttern und Vätern verglichen wird. Die vielschichtigen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern in ihrem alltäglichen Leben bleiben dabei weitgehend unberücksichtigt. Dabei kann gerade deren Untersuchung ein umfassenderes Verständnis der Auswirkungen unterschiedlicher Sorgerechtsregelungen auf das Wohlergehen von Kindern ermöglichen.

Im Rahmen unseres Teilprojektes nähern wir uns dem Wohlergehen von Kindern in verschiedenen Sorgerechtskonstellationen mittels einer Tagebuchstudie. Und dies durch die Brille der familialen Beziehungen. Unsere Forschung konzentriert sich auf das komplexe Zusammenspiel zwischen der Qualität der Beziehung zwischen Müttern und Vätern, der Eltern-Kind-Beziehung und den Erziehungsstrategien. Ziel ist es, zu verstehen, wie diese Beziehungsdynamiken das allgemeine Wohlbefinden von Kindern beeinflussen.

Über 15 Tage hinweg werden uns die teilnehmenden Familien mit Hilfe einer entsprechenden App Einblicke in ihre täglichen Erfahrungen gewähren. Dieses innovative Forschungsdesign hat den Vorzug, Grenzen herkömmlicher Studien zu umgehen und die Dynamiken in Familien nach einer Trennung oder Scheidung in Echtzeit zu dokumentieren. Wir werden uns sowohl mit den Herausforderungen als auch mit den Stärken dieser Beziehungen befassen und belastende sowie stärkende Faktoren untersuchen, beispielsweise die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung oder die konstruktive Konfliktlösung zwischen den Eltern. Ein entscheidender Aspekt unseres Ansatzes ist dabei die Einbeziehung der Kinderperspektive.

Mit diesen Momentaufnahmen des täglichen Familienlebens und mit Einbezug der Sichtweisen der Kinder zielen unsere Ergebnisse darauf ab, politische Entscheidungsträgerinnen, Sozialarbeiter und Familien zu informieren und ihnen ein differenziertes Verständnis möglicher Auswirkungen von Sorgerechtsregelungen nach einer Trennung oder Scheidung zu vermitteln. Unser Ziel ist es, Eltern und Kindern bei der Bewältigung verschiedener Herausforderungen im Zuge einer Trennung oder Scheidung zu unterstützen und so langfristig zum Wohlbefinden der Kinder beizutragen.

 

Datenerhebung:

 

Das Teilprojekt S2 trägt zum einen zur Online-Befragung von Schweizer Familien bei (S1). Zum anderen dienen tägliche Tagebucheinträge von Eltern und Kindern über den Zeitraum von 15 Tagen der Erforschung des Familienalltags. Insgesamt werden hierfür 300 Familien rekrutiert: 100 mit nicht getrennten Elternteilen sowie jeweils 100 mit gemeinsamem Sorgerecht und mit alleinigem Sorgerecht, die sich im zurückliegenden Jahr für eine Scheidung oder Trennung entschieden haben. Die Untersuchung dieser veränderten Familienstrukturen ist insofern von zentraler Bedeutung, als dass sie Erkenntnisse über mögliche Dynamiken in Familien liefert, die sich mit den Herausforderungen einer Trennung auseinandersetzen müssen.

Einbezogen werden Elternteile im Primärhaushalt und einem Kind im Alter von 7 bis 14 Jahren. Um die Familiendynamik umfassend untersuchen zu können, werden auch Väter und Mütter des jeweils anderen Haushalts befragt. Bei den nicht getrennten Familien werden beide Elternteile an der täglichen Datenerfassung beteiligt sein. Die zentralen Themen dieser täglichen Einträge drehen sich um die elterlichen Interaktionen, die Bindung zwischen Eltern und Kind, die vorherrschenden Erziehungsstile und das übergreifende Wohlbefinden des Kindes. Wir werden die Daten mithilfe eines mehrstufigen Strukturgleichungsmodells analysieren, das die gegenseitige Abhängigkeit der Familienmitglieder berücksichtigt.

Zusammenfassung:

 

In den zurückliegenden Jahren hat eine Reihe von Untersuchungen verschiedener Fachrichtungen die zentrale Bedeutung des Zuhauses für Kinder hervorgehoben und die Frage aufgeworfen, wie sie das Leben in ihren Familien nach der Trennung der Eltern wahrnehmen und welche alltäglichen Praktiken des Zusammenlebens beobachtbar sind. Die verschiedenen Wohnarrangements nach Trennung und Scheidung sowie die Folgen für das Wohlbefinden sind für die Wohn- und Architekturforschung von besonderem Interesse, da sich diese veränderten Familienformen nur sehr begrenzt in der gegenwärtig Planung neuen Wohnraums und im vorhandenen Wohnungsbestand widerspiegeln. Die gebauten Strukturen bilden noch heute standarisierte Typologien der Nachkriegsarchitektur ab, die für das traditionelle Modell der Kernfamilie konzipiert wurden und wenig geeignet sind, Räume für im Wandel begriffene Familienformen anzubieten. Darüber hinaus gehen Trennung und Scheidung mit zusätzlichen Kosten für Wohnen und Mobilität einher sowie mit höheren Anforderungen an Abstimmungsprozesse des Familienalltags über verschiedene Haushalte hinweg.

Das Teilprojekt S3 zu Wohnen, Architektur und Mobilität befasst sich mit sozialräumlichen Praktiken und Wohnarrangements von Nachtrennungsfamilien in der Schweiz und deren Zusammenhang mit dem Wohlbefinden der Kinder. Das Gefühl zu Hause zu sein, Geborgenheit, die Kontinuität sozialer Beziehungen, Fragen der Identität und Zugehörigkeit sowie mögliche Konfliktpotenziale im Zusammenhang mit veränderlichen räumlichen Situationen beeinflussen das Wohlbefinden der Kinder und die Nachhaltigkeit einer bestimmten Sorgerechtsregelung. Im Rahmen der Studie werden Wohnformen, -praktiken und -bedingungen von Familien nach Trennung und Scheidung untersucht. Und dies im Hinblick auf die Wohnungsaufteilung und -einrichtung, (veränderte) Grundrisse, die emotionalen und atmosphärischen Qualitäten der Räume, räumliche Mobilitätsmuster sowie mit Bezug auf die verfügbaren und benötigten kulturellen, sozialen und finanziellen Ressourcen.

 

Datenerhebung:

 

Das Teilprojekt S3 leistet mit spezifischen Fragen zur Wohnsituation der Familien einen Beitrag zur gesamtschweizerischen Haushaltsbefragung des Teilprojekts S1. Um das Alltagsleben und die Wohnpraktiken von Familien in verschiedenen Konstellationen zu untersuchen, stützen sich die Forschungen im Kern auf ethnografische Methoden. Mögliche Veränderungen im Zeitverlauf der Studie werden zu zwei verschiedenen Zeitpunkten im Abstand von 12 Monaten erfasst.

Bei der Zusammensetzung der Stichprobe werden folgende Aspekte berücksichtigt: (a) verschiedene Wohnarrangements nach Trennung und Scheidung (Alleinerziehende, alternierende Obhut und Nestmodell), (b) unterschiedliche sozioökonomische Hintergründe, (c) Wohnen im ländlichen und (sub-)urbanen Raum sowie (d) die drei Schweizer Sprachregionen. Die Daten werden bezogen auf drei Teilgruppen erhoben: (1) Kinder, (2) biologische und soziale Eltern sowie (3) Vertreter aus dem Wohnungswesen und politischen Entscheidungsträgerinnen. Das Projekt bedient sich dabei folgender Instrumente: teilstrukturierte und narrativ-problemzentrierte Interviews, Walk-along- und Photo-Interviews, Fokusgruppen, verschiedene Mapping-Methoden und videogestützte mobile ethnographische Beobachtungen. Die Daten werden mit Hilfe von Software für qualitative Datenanalyse nach der sogenannten «Grounded Theory»-Methode ausgewertet.

Die Datenerhebungen und Analysen werden durch studentische Forschungsarbeiten im Rahmen eines zweisemestrigen Entwurfsstudios an der ETH Zürich, Departement Architektur, ergänzt. Diese werden sich mit möglichen baulichen Lösungen befassen – sowohl in Bezug auf Wohnungsgrundrisse als auch auf verschiedene Aspekte der Innenausstattung.